Snipper

Die erste Tugend eines jeden Kritikers sei Bescheidenheit. Bescheiden, wie die Jungfrau zum Altare, trete der Kritiker vor das Kunstwerk hin. Nicht auf das Werk trete er, sondern nur bescheiden vor das Werk. Denn hier ist er nicht Herr, hier ist er blosz Kritiker, ein bescheidener Kritiker, ein Kritiker, der sich bescheiden musz, ein Kritiker, der Bescheid wissen musz. Er, der Künstler, durch den die Gottheit aus dessen Werke spricht, soll sein Herr sein, soll Herr des bescheidenen Kritikers sein. Fromm falte der Herr Kritiker seine Tintenfinger zum Gebete. Denn hier sei er Seele, nicht Herr, Seele, die auf die Weissagung des Propheten lauscht, etwa wie ein Ohr. Damit man ihn nicht am Ohre fasse. Bescheiden sehe sein Auge, lausche sein Ohr, taste seine Hand. Die erste Tugend eines jeden Kritikers sei Bescheidenheit.

KURT SCHWITTERS